Macht SF6 Windenergieanlagen zu Klimakillern? Hier die Rechnung:

In einem Fernsehbeitrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im August 2022 (Link, Youtube) wurde mittels geschickt genutzter Fragetechnik und Überschriftenwahl der Eindruck erweckt, dass Windenergieanlagen klimaschädlich seien aufgrund des in deren elektrischen Schaltanlagen eingesetzten Isolationsgases Schwefelhexafluorid (SF6). Leider wurde in dem Beitrag weder nachgerechnet noch der Versuch unternommen, die je nach Branche anfallenden Emissionen in Bezug und Relation zu setzen. Mit diesem Artikel und der folgenden Rechnung soll dem Informationsdefizit begegnet werden, da die in der Überschrift gestellte Frage in der Öffentlichkeit immer noch zu Aufruhr und Verunsicherung führt. Zur Beantwortung greife ich auf meine Expertise aus der Genehmigungspraxis nach Bundesimmissionsschutzgesetz für moderne Windenergieanlagen zurück.

Wenn SF6 ≈ 25.000 mal stärker auf das Klima wirkt als CO2 und für 0,5 % der gesamten deutschen Treibhauswirkung verantwortlich ist, handelt es sich zweifelsohne um ein ernstzunehmendes Gas, bei dem es lohnt, Substitutionsmöglichkeiten zu generieren. SF6 wurde und wird in einer Vielzahl von Industrien, Produkten und Branchen eingesetzt, daher nun der detaillierte Blick in die Dimensionierung bei Windenergieanlagen, bei dem ganz bewusst (u.a. für das eingängigere Verständnis) mit gerundeten Zahlen gearbeitet wird, da das Ergebnis so oder so eindeutig ausfällt:

Die aktuelle Anlagengeneration der 6-Megawatt(MW)-Klasse, welche herstellerübergreifend gegenwärtig gebaut wird, benötigt ≈ 20 kg SF6 in einer Windenergieanlage. Dieses SF6 befindet sich in einem geschlossenen System und soll bei fachgerechtem Recycling nach Ende der Betriebszeit nicht in die Atmosphäre gelangen und da die Produktion (inkl. Vorkette) von einem Kilogramm SF6 nur 10 kg CO2 emittiert (Quelle), ist die Klimawirkung im regulären Normalfall marginal und zu vernachlässigen. Falls SF6 jedoch durch einen technischen Defekt, eine Havarie oder unsachgemäßes Recycling doch freigesetzt werden sollte, entstünde ein Treibhauseffekt (potentieller Schaden) von

20 Kg SF6 * 25.000 (Faktorwirkung) = 500.000 kg CO2-Äquivalenten je Windenergieanlage.

Eine halbe Tonne CO2-Äquivalent. Eine beachtliche Menge. Man müsste noch betrachten, wie hoch die Wahrscheinlichkeiten sind, dass dieses Treibhauspotential freigesetzt wird. Darauf kann und soll hier jedoch nicht eingegangen werden. Angenommen, das SF6 würde freigesetzt werden, wie sehe dann die Klimabilanz der Windenergieanlage aus?

Dazu muss betrachtet werden, wie viel Elektrizität eine Windenergieanlage in das Stromnetz einspeist und wie hoch der positive Effekt einer Kilowattstunde Windstrom ist. Allgemein gilt:

∅ mögliche Stromproduktion je moderner Windenergieanlage der 6MW-Klasse 15.000.000 kWh p.a.

negative Klimawirkung einer Kilowattstunde Windstrom 10 g CO2-Äquiv. (Quelle, S. 34)

positive Klimawirkung der Kilowattstunde Windstrom in Relation zum letztbekannten Treibhauspotential einer Kilowattstunde im deutschen Strommix (Quelle für Strommix; beachte: die Bezugnahme zum Vermeidungsfaktor des rein fossilen Strommixbestandteils würde einen noch höheren Wirkungsgrad generieren) ≈ (-)400 g CO2-Äquiv. (eigene grobe Rundung entsprechend der gängigen Praxis, der Bezugnahme auf den Strommix)

Somit ergibt sich folgende Rechnung zur positiven Klimabilanz einer Windenergieanlage:

15.000.000 kWh p.a. * 0,4 kg CO2-Aquiv./KWh = 6.000.000 Kg CO2-Äquiv. p.a.

Eine potentiell negative Klimawirkung durch SF6 in Bezug zur positiven Klimawirkung durch die Emissionsverdrängung im deutschen Strommix ergibt demnach Folgendes:

500.000 Kg CO2-Äquiv. (SF6-Klimaschaden) / 6.000.000 Kg CO2-Äquiv. (Emissionsvermeidung) = 1/12

Nach nur einem Monat würde eine Windenergieanlage das potentielle Freisetzen des in ihr verwendeten SF6 klimabilanziell also ausgeglichen haben. Eine Windenergieanlage wird mindestens 240 Monate, also 20 Jahre, und in der Regel auch länger betrieben. Die Frage, ob SF6 Windenergieanlagen zu Klimakillern macht, dürfte demnach geklärt sein.